Coronakrise: Integrationsbeauftragte sehen dringenden Handlungsbedarf

Im Zusammenhang mit den aktuellen Maßnahmen zur Eindämmung des SARS-CoV-2 besteht bundesseitig dringender Handlungs- und Regelungsbedarf in Bezug auf Zuwanderung und Integration. Das am 27.03.2020 von Integrationsbeauftragten aus neun Bundesländern veröffentlichte Statement fasst die an die zuständigen staatlichen Einrichtungen und politischen Entscheidungsträger gerichteten Forderungen in 10 Punkten zusammen:

  1. Abschiebungen
    Zur Eindämmung der COVID-19 Pandemie und zur Verhinderung weiterer Infektionsketten
    innerhalb der EU wurde das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge angewiesen, alle
    Dublin-Überstellungen von und nach Deutschland vorübergehend auszusetzen. Auf der
    Ebene der Bundesländer werden weitgehend Abschiebungen ausgesetzt mit Ausnahmen für
    bestimmte Gruppen.
    Bislang wurde noch kein bundesweit einheitlicher Abschiebestopp erlassen. Im Hinblick auf
    die Rechtssicherheit der Betroffenen, aber auch auf die weitere Ausbreitung des SARS-CoV-
    2 und die sehr dynamische Entwicklung in vielen Herkunftsländern sind klare Regelungen
    geboten. Es bedarf eines generellen vorübergehenden Abschiebestopps in allen
    Bundesländern.
  2. Asylentscheidungen und -bescheide durch das BAMF
    Die Rechtsmittelfristen bei Asylbescheiden des BAMF in Bezug auf (teil-)ablehnende
    Bescheide sind angesichts der aktuellen Beschränkungen zu kurz (mit zweiwöchiger
    Rechtsmittelfrist bei „unbegründet“, bei Ablehnung als „offensichtlich unbegründet“ mit nur
    einer Woche). Unter den gegebenen Umständen kann innerhalb dieser Frist der Zugang zu
    einer Rechtsberatung und zu Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten nicht mehr
    gewährleistet werden. Der Anspruch auf einen effektiven Rechtsschutz ist somit nicht
    gegeben. Solange dies der Fall ist, ist die Zustellung negativer Bescheide durch das BAMF
    auszusetzen.
    Es wird begrüßt, dass das BAMF bis auf weiteres alle Dublin-Überstellungen von Amts
    wegen aussetzt. Die Bewertung des BAMF, wonach in diesem Fall eine Aussetzung nach §
    80 Abs. 4 VwGO i.V.m Art. 27 IV Dublin III VO vorliege, welche lediglich zu einer
    Unterbrechung der Überstellungsfrist führe, sollte überdacht werden. Es ist nicht absehbar,
    wie lange die Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie erforderlich sein werden. Eine
    Unterbrechung der Aussetzungsfrist ohne Entscheidung über die Zuständigkeit auf
    unbestimmte Zeit verstößt gegen das Beschleunigungsgebot der Dublin III VO.
    Sachgerechter, insbesondere mit Blick auf die gravierende Situation in Italien und Spanien,
    die sich mit Sicherheit langfristig auf Wirtschaft und Gesundheitssystem auswirken wird,
    wäre die Ausübung des Selbsteintrittsrechts für die betroffenen Personen.
  3. Verteilungen aus Landeserstaufnahmeeinrichtungen und Ankerzentren
    Wo erforderlich sollte eine Entzerrung der beengten Wohnverhältnisse in
    Landesunterkünften möglich sein durch Verteilungen in die Regionen. Dies muss besonders
    Menschen aus den Risikogruppen betreffen, unabhängig von Herkunftsland, der Frage der
    Mitwirkungshandlungen oder dem Stand des Verfahrens.
    Hier bedarf es einer Ausnahmeregelung zu § 47 Abs.1 AsylG.,
  4. Fiktive Verlängerung von Aufenthaltstiteln
    Vorsprachen bei für aufenthalts- und passrechtliche Maßnahmen und Entscheidungen nach
    dem AufenthG oder Asyl zuständigen Behörden, bei denen die Gefahr der Ansteckung,
    sowohl der Schutzsuchenden wie auch der Befragenden besteht, sollten unterbleiben
    können. Vor diesem Hintergrund sollten alle abgelaufenen Aufenthaltstitel und
    Statusbescheinigung in allen Bundesländern fiktiv ihre Gültigkeit behalten.
  5. Beschäftigungsduldung
    Beschäftigungsunterbrechungen, die im Zusammenhang mit den aktuellen Einschränkungen
    zum Zwecke der Eindämmung des Virus SARS-CoV-2 stehen (zum Beispiel
    Begegnungssperren oder auftragsbedingte Kündigungen) dürfen die Anwartschaftszeit zum
    Erhalt einer Beschäftigungsduldung nicht beeinflussen.
    Beschäftigungsunterbrechungen, die zeitlich über die in § 60 d Abs. 3 AufenthG genannte
    „kurzfristige Unterbrechung“ hinausgehen, dürfen den Erhalt oder den Bestand einer
    Beschäftigungsduldung nicht beeinflussen.
    Hier bedarf es Ausnahmeregelungen zu § 60 d Abs. 1 Nr. 3ff und Abs. 3 AufenthG.
  6. Ausbildungsduldung
    Ausbildungsunterbrechungen und -abbrüche, die im Zusammenhang mit den aktuellen
    Einschränkungen zum Zwecke der Eindämmung des Virus SARS-CoV-2 stehen (zum
    Beispiel Abbrüche und Unterbrechungen aufgrund von Begegnungssperren oder
    auftragsbedingte Kündigungen), dürfen nicht zu einem Erlöschen der Ausbildungsduldung
    führen. Hier bedarf es einer Ausnahmeregelung zu § 60 c Abs. 4 und 5 AufenthG für die
    Verlängerung einer Ausbildungsduldung.
  7. Einreise und Rückkehr von Drittstaatsangehörigen mit deutschen
    Aufenthaltstiteln ins Bundesgebiet

    Es herrscht derzeit große Verunsicherung bei Drittstaatsangehörigen mit deutschen
    Aufenthaltstiteln (insbesondere diejenigen mit nationalen Visa), die sich außerhalb von
    Deutschland befinden. Eine eindeutige Regelung, ob ihnen allen zurzeit die Einreise ins
    Bundesgebiet gewährt wird, liegt nicht vor. Eine Klarstellung für Drittstaatsangehörige mit
    deutschem Aufenthaltstitel in Bezug auf die Einreise und Rückkehr zu ihrem ständigen
    Wohnsitz in Deutschland ist dringend erforderlich.
  8. Sicherung von Sozialleistungen
    Unionsbürgerinnen und -bürgern stehen grundsätzlich erst nach Ablauf der gesetzlich
    geregelten Zeit von drei Monaten Leistungen nach den SGB II und XII oder Kindergeld zu.
    Die Aussicht, Arbeit zu finden oder als Selbständige Aufträge zu erhalten, ist wegen der
    aktuellen Arbeitsmarktlage allerdings deutlich verringert. Für die Personenkreise, die unter
    die Ausschlüsse im SGB II und XII fallen und die aktuell nur „Überbrückungsleistungen“
    erhalten würden, gilt es, eine ausreichende Versorgung sicherzustellen. Andernfalls drohen
    der Verlust der Existenz und sogar Obdachlosigkeit.
    Personen, die von Leistungskürzungen nach dem AsylbLG betroffen sind, haben im Moment
    nur eingeschränkte Zugänge zur rechtlichen Beratung. Sozialämter und Sozialgerichte sind
    für eine Klärung auch nur eingeschränkt zu erreichen. Etwaige Mitwirkungspflichten können
    aufgrund der Einschränkung nicht erfüllt werden. Zudem haben die Betroffenen im Moment
    höhere Ausgaben durch Eindeckung mit Hygieneartikeln und Vorratshaltung. Da die
    betroffenen Personen ihren Mitwirkungspflichten im Moment nicht umfassend nachgehen
    können, sollten die Leistungskürzungen für diese Zeit ausgesetzt werden.
    Hilfreich wäre es, wenn das BMAS dahingehend auf die Länder und Kommunen einwirken
    könnte, diese Aspekte bei der Leistungsgewährung angemessen zu berücksichtigen.
  9. Gefahrloser Zugang zur Gesundheitsversorgung
    Es sollte für die Personen, die aus Angst vor Abschiebungen untergetaucht sind, der
    gefahrlosen Zugang zu medizinischer Hilfe und zum Testen auf eine mögliche
    Coronainfektion geben, zum einen zum Schutz der Menschen ohne Aufenthaltsrecht, zum
    anderen aber auch zum Schutz vor Ansteckung Dritter. Die Gesundheitsämter und andere
    öffentliche Stellen, die in die Vorbeugung und Behandlung von Infizierten involviert sind und
    der Meldepflicht nach § 87 AufenthG unterliegen, sollten bis auf Weiteres von der
    Übermittlungspflicht befreit werden.
  10. Aufnahme von UMF aus Griechenland
    Wir begrüßen die bekundete Aufnahmebereitschaft des Bundes für unbegleitete
    minderjährige Schutzsuchende aus den Hotspots. Die Umsetzung darf sich aber nicht wegen
    der Corona-Situation verzögern. Gerade auf den griechischen Inseln ist aufgrund der
    Unterbringungs- und Versorgungssituation eine schnelle Ausbreitung des Virus sehr
    wahrscheinlich und würde eine erhebliche Gefahr nicht nur für die Betroffenen bedeuten. Wir
    knüpfen daher an unsere Bekundung vom 3. Dezember 2019 gegenüber der
    Innenministerkonferenz an und bitten unter Berücksichtigung des Infektionsschutzes um
    schnelle Aufnahme.

Link: Einleitender Pressetext aus Thüringen